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Massive Polizeipräsenz am Rande der Demonstration am Montag im Moskauer Stadtzentrum.

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"Putin, geh heim", steht auf dem Schild dieser jungen Russin.

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Alexej Nawalny steht unter Druck.

Foto: REUTERS/Sergei Karpukhin

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"Freiheit für die Gefangen des 6. Mai", steht auf diesem Plakat, das Aktivisten auf dem Dach eines Moskauer Hochhauses angebracht haben.

Foto: AP Photo/Mitya Aleshkovskiy

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Manche Demonstranten wünschen sich den Präsidenten hinter Gitter.

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Gerhard Mangott: "Wenn die wirtschaftliche Leistungskraft so stark abnimmt, ist das Risiko groß, dass der Staat seine Sozial- und Transferleistungen nicht mehr voll bedienen kann."

Foto: Celia di Pauli

Ein Jahr ist es her, dass am Rande von Demonstrationen gegen Wladimir Putins Amtseinführung in Moskau Dutzende Regierungsgegner verhaftet wurden. Mehr als 20 Aktivisten drohen wegen der "Beteiligung an Massenunruhen" jahrelange Haftstrafen. Zum Jahrestag waren am Montag abermals tausende Russen auf der Straße, um für die "politischen Gefangenen" zu demonstrieren. Die Opposition gegen das autoritäre Regime ist heute aber weit schwächer aufgestellt als noch vor einem Jahr. Das liegt nicht nur an behördlicher Repression, sondern auch an internen ideologischen Grabenkämpfen, sagt der Innsbrucker Politologe und Russland-Forscher Gerhard Mangott.

derStandard.at: Registriert Putin die aktuellen Unmutsbekundungen überhaupt?

Mangott: Die Führung hat sehr genau beobachtet, wie sich die Stimmung vor allem in den großen Städten entwickelt hat. Das Regime nimmt diese Demonstrationen sicherlich ernst; aber es ordnet sie ein als Ausdruck einer minoritären, jungen, städtischen, gebildeten und besser verdienenden Schicht. Es gibt noch immer ein eisernes Wählerkartell, dessen sich Putin gewiss sein kann: konservative, kleinstädtisch-ländliche, eher ältere, schlechter gebildete und schlechter verdienende Russen.

Als die Demonstrationsbewegung noch sehr stark war und zehntausende Bürger auf die Straßen gebracht hat, begann Putin mit der Mobilisierung dieser Kernklientel und hat eine Art Kulturkampf gegen das liberale und als kosmopolitisch verhöhnte Moskau begonnen. Diese kulturelle Mobilisierung drückt sich in der demonstrativen Wertschätzung der russisch-orthodoxen Kirche, in gesetzlichen Schikanen gegen Homosexuelle und im Strafverfahren gegen Pussy Riot aus und hat sich bislang als sehr wirksam erwiesen.

derStandard.at: Ist die Schwäche der Opposition einzig der Repression durch die Regierung geschuldet?

Mangott: Die Demonstration am Montag hat deutlich gezeigt, dass sich die Oppositionsbewegung inhaltlich auch nicht weiterentwickelt hat. Sie hat keine neuen Konzepte und Ziele anzubieten. Die Bewegung gegen Putin war inhaltlich von Anfang an sehr heterogen; rechte Nationalisten, Liberale und Linksextreme marschierten gemeinsam gegen Putin. Das einigende ideologische Band war ein negativer Konsens, nämlich die Forderung nach dem Abtritt Putins. "Russland ohne Putin" war der Slogan, auf den man sich verständigen konnte. Darüber hinaus fehlte aber jedes Konzept, wie Russland regiert werden sollte, wenn Putin zum Rücktritt gezwungen werden könnte. Die starke ideologische Fragmentierung hat ein tragfähiges gemeinsames Konzept für ein Post-Putin-Russland verhindert. Auch am Montag war in den Reden der Anführer der Bürgerbewegung außer den Losungen gegen Putin kein positives Politikangebot zu erkennen. Zusammen mit einer mangelnden Arbeitsstruktur und Rivalitäten zwischen den Lagern hat das dazu geführt, dass die Bürgerbewegung an Rückhalt verloren hat.

derStandard.at: Der entlassene Ex-Finanzminister Alexej Kudrin hat sich unlängst im Fernsehen live einen verbalen Schlagabtausch mit Putin geliefert. Erreicht seine Kritik an der Regierungsführung die Menschen in Russland?

Mangott: Kudrin hatte von Anfang an einen Dialog der Führung mit der Bürgerbewegung unterstützt. Die liberalen Berater Putins drängten ihn, Kudrin wieder in eine führende Funktion zu berufen, um ein Signal der Öffnung und des Dialogs auszusenden. Daher hat Putin ihm zuletzt die Stelle des Zentralbankpräsidenten angeboten, was Kudrin ablehnte. Kudrins eigentliches Karriereziel ist aber die Führung der Regierung, die Ablöse von Ministerpräsident Medwedew. Die ihm angebotene Stellung erschien Kudrin nicht als bedeutsam genug, um den mit der Amtsübernahme verbundenen Verlust an Glaubwürdigkeit gegenüber der Bürgerbewegung wettzumachen, die ihn ohnehin mit skeptischen Blicken beäugt.

derStandard.at: Was verspricht sich Putin davon?

Mangott: Nach Einschätzung vieler Beobachter war dieses Fernsehduell eine vorab inszenierte Auseinandersetzung zwischen beiden. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die spezifische Wortwahl so ausgemacht war, denn Kudrin lässt sich bestimmt nicht in einer Livesendung derart herabwürdigend behandeln und einen Faulpelz nennen. Putin und Kudrin verbindet eine langjährige Freundschaft, die aber in den vergangenen eineinhalb Jahren gelitten hat. Mit der Inszenierung wollte Putin den Eindruck erzeugen, dass innerhalb der Regierung über unterschiedliche wirtschafts- und finanzpolitische Strategien diskutiert werde, es letztlich aber Putin ist, der die Linie vorgibt.

derStandard.at: In derselben Sendung kamen Bürger und Bürgerinnen zu Wort, die ihren Unmut über Missstände in Sachen Pension, Infrastruktur et cetera äußerten. Welchen Zweck hat ein solches mediales Dampfablassen im heutigen Russland?

Mangott: Zum einen sind diese Sendungen immer auch eine Inszenierung der Kompetenz Putins, er beeindruckt bei diesen Call-in-Shows mit seinem Detailwissen in den verschiedensten Bereichen. Zum anderen dienten die kritischen Fragen Putin auch dazu, den Eindruck zu erzeugen, dass Kritik an der staatlichen Führung durchaus zugelassen werde und sich die Führung um die Behebung der geschilderten Missstände kümmere.

derStandard.at: Die Tageszeitung "Kommersant" vermutet hinter dem Registrierungsstopp für sieben Parteien, darunter die Nawalny-Partei Volksallianz, eine zunehmende Nervosität der Behörden, dass diese Gruppen bei den Regionalwahlen im September die Regierungspartei Stimmen kosten könnten. Ist da etwas dran?

Mangott: Nawalny gehört sicher zu den charismatischsten und konsensfähigsten Köpfen der Bürgerbewegung, insofern muss das Regime natürlich auf ihn besonders achten. Würde er in den Strafverfahren, die derzeit laufen, verurteilt werden, hätte er ohnehin nicht mehr die Möglichkeit, eine politische Partei zu gründen. Die Verzögerung der Registrierung hängt sicher mit der besonderen Mobilisierungskraft Nawalnys zusammen. Grundsätzlich ist das russische Justizministerium aber erfreut über die vielen Parteigründungen, weil das hyperliberale Parteiengesetz dazu geführt hat, dass auch noch Personen in der zweiten Reihe der Bürgerbewegung eine eigene Partei gegründet haben. Diese extreme Fragmentierung der Opposition ist natürlich nur im Interesse des Führungsriege um Putin. Das Parteiengesetz hat der Opposition neben der ohnehin bestehenden ideologischen Fragmentierung noch eine organisatorische Fragmentierung eingebracht.

derStandard.at: Von wo droht der russischen Regierung sonst Gefahr?

Mangott: Die russische Wirtschaft hat sich nicht so entwickelt, wie die Regierung es für 2012 und 2013 erwartet hatte. Das Wirtschaftswachstum könnte Wirtschaftsminister Belousow zufolge in diesem Jahr sogar unter zwei Prozent liegen. Wenn die wirtschaftliche Leistungskraft aber so stark abnimmt, ist das Risiko groß, dass der Staat seine Sozial- und Transferleistungen nicht mehr voll bedienen kann. Dann könnte sich das bisher eiserne Wählerreservoir Putins aufzuweichen beginnen, und der Unmut in den Städten, der nach politischer Teilhabe drängt, könnte sich mit sozialen Protesten auf dem Land verbinden. Vor dieser Entwicklung hat Putins Führung am meisten Angst. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 7.5.2013)